Vor dem 14. Juni 1883 war das für einen Knecht aus Hagermarsch tatsächlich eine weite, beschwerliche Reise. Was stand ihm zur Verfügung? Seine eigenen Füße, das Pferd des Bauern - vielleicht hatte er sogar ein eigenes Pferd! Eventuell konnte er es sich sogar leisten, mit einer Postkutsche zu fahren. Sicher ist, die Reise konnte nicht an einem Nachmittag, bzw. innerhalb weniger Stunden erledigt werden. Sie beanspruchte ein oder zwei Tage und das kann sich heute kaum einer von uns vorstellen.
Eine Zeit in der noch
Pferde und Kutschen oder Fahrräder den Verkehr in Ostfriesland dominierten.
Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass diese Zeit noch gar nicht so
weit zurückliegt.
Seit 120 Jahren verläuft
nun schon der Schienenstrang durch Ostfriesland. Vielleicht ist dadurch ein
Stück Beschaulichkeit verloren gegangen. Gemütlichkeit, die durch das Auto noch
weiter verdrängt wurde. Doch dafür öffnet die Eisenbahn damals das Tor zur
großen weiten Welt.
Für Harm ist es nun kein großes Problem mehr nach
Emden aufs Amt zu kommen. Per pedes zum Bahnhof in Hage und von dort mit dem
Dampfross über Norden nach Emden. In Emden schnauften schon seit 1856 die
Dampfrösser der „Königlich Preußischen Eisenbahn Verwaltung“, kurz „KPEV“.
Norden will schon 1846 an
das Metall, das die Welt bedeutet, angebunden werden. Jedoch ist der Standort
Norden für einen Bahnhof nicht lukrativ genug. 1871 wird Jever an die
„Oldenburgischen Landesbahn“ angebunden. Norden wirbt nun um ebenfalls um die
Anbindung an die „Oldenburgische Landesbahn“. Doch da Norden auf preußischem und
damit auf fremden Territorium liegt, wird der Weiterbau der Gleisanlage von den
Oldenburgern abgelehnt.
Nach zähem Ringen mit Bitten, Diskussionen und noch viel mehr
Depeschen, die hin und her geschickt werden, beschließt 1879 die „Königlich
Preußische Eisenbahn Verwaltung“ den Bau der Strecke Emden –Wittmund. Nun wird
auch die Weiterführung bis Jever durch die „Oldenburgische Landesbahn“
durchgeführt.
Nicht nur Norden wird am
14. Juni 1883, an die Eisenbahn angeschlossen. Auch Hage hat nun einen kleinen
Bahnhof, von dessen Bahnsteig man bequem mit den Zügen nach Jever, Emden oder
Bremen fahren kann. Nicht Ostfriesen haben so ihr Heimatland zum letzten Mal
gesehen. Die Eisenbahn nach Bremenhafen bedeutete für viele Auswanderer den
ersten Schritt in eine neue Welt: Amerika.
Für
die Daheimgebliebenen ist die Bummelbahn entlang der ostfriesischen Küste das
Höchste der Gefühle. Die „Küstenbahn“ mit den über 77,9 km verteilten
Haltestationen Norden, Lütetsburg, Hage, Westerende, Dornum, Roggenstede,
Fulkum, Holtgast, Esens, Stedesdorf, Burhafe, Blersum und Wittmund erschloss
ihnen die Heimat. In Wittmund (Leer - Aurich - Wittmund) und in Esens (Zweigstrecke Ogenbargen - Esens - Bensersiel) gibt es übrigens zu der Zeit auch eine Haltestelle
der schmalspurigen Auricher Kreisbahn „Jan Klein“.
Wer weiter fährt, droht
außerhalb Ostfrieslands Grenzen zu geraten, was aber natürlich möglich war.
1883 bummelten die Züge
tatsächlich noch: Innerorts war die Höchstgeschwindigkeit auf 15 km/h und auf
freier Strecke auf maximal 20 km/h festgesetzt - allerdings konnten die ersten
Dampfloks gar nicht schneller fahren. Doch mit mehr als der doppelten
Postkutschen-Geschwindigkeit verkürzt sich die Reisezeit auch für Knecht Harm
aus Hagermarsch um die Hälfte. Verständlich, dass viele Ärzte damals vor der
Gefahr des Erblindens warnen, die bei der Fahrt mit einem dieser teuflischen
Züge erhöht bestehen soll.
Trotz solcher und
ähnlicher Warnungen nutzen viele Menschen die Möglichkeit, mit der Bahn zu
fahren. Denn nun ist es für viele möglich für relativ wenig Geld -verglichen
mit den Fahrpreisen der Postkutsche- mit der „KPEV“ zu verreisen.
Unterschiede
gibt es dennoch. Eine mehr oder weniger angenehme Reise erlauben die damals
noch bestehenden vier verschiedenen Fahrklassen der Bahn: 1. Klasse: mit Plüsch
gepolsterte Sessel, 2. Klasse gepolsterte Bänke, 3. Klasse: Holzbänke,
4.Klasse: Stangen zum Festhalten.
1890 werden die
Reisezeiten durch Erhöhung der Reisegeschwindigkeit -40 km/h auf freier Strecke
und 20 km/h innerorts - weiter verkürzt.
Im Laufe der Zeit weichen
die alten Dampflokomotiven Neuentwicklungen von Borsig, Schwartzkopf usw. So
können die Reisezeiten immer weiter verkürzt werden. 1986 braucht der Zug für
die Fahrt von Norden nach Esens nur noch 35 Minuten.
Hage hat lange Zeit einen
schönen Kleinbahn-Bahnhof, zu dem ein Güterschuppen, ein Empfangsgebäude und
ein Wartesaal gehören.
Zu der Zeit, als noch die
Zeppeline vom Hager Flugplatz abheben gibt es sogar einen Abzweig der
Küstenbahn vom Hager Bahnhof zum Flugplatz. Der Bahnhof Hage hat zeitweise über
drei Gleise verfügt, um Zugkreuzungen zu ermöglichen. Neben dem Gleis an der
Verladerampe des Güterschuppens gibt es das Streckengleis und ein weiteres
Personenzuggleis. Zusätzlich wird die Verladerampe an das Gütergleis
angeschlossen. Nach dem Neubau der Hager Umgehungsstraße ist nur das Streckengleis
geblieben. Der Bahnhof wird nach und nach abgerissen. Zuletzt steht nur noch
der Teil des Bahnhofs, der als Güterschuppen genutzt wurde. Dieser wird „Opfer“
einer Übung der Ortsfeuerwehr.
1983 kommt das Aus für den
Regelpersonenverkehr auf der „Küstenbahn“ durch die „Deutsche Bundesbahn“ (DB).
Wegen des starken Rückgangs der Fahrgastzahlen und einer damit unrentabel
gewordenen Strecke fährt - nach fast genau 100 Jahren - am 28.Mai 1983 der
letzte Regelzug von Norden nach Esens.
Knecht Harm aus Hagermarsch
hat schon lange das Zeitliche gesegnet, ihn interessierte dieses Ereignis nicht
mehr.
Es werden Busverbindungen
von Norden nach Esens eingerichtet und das Teilstück zwischen Dornum und Esens
1986 demontiert. Zwischen Norden und Dornum gibt es noch zwei Jahre einen
winzigen Güterverkehr der „Raiffeisengenossenschaft“ in Dornum und Hage.
Aber schon 1987 wird das
Geschichtsbuch der „Küstenbahn“ wieder
aufgeschlagen und jemand beginnt, die nächste Geschichte zu schreiben. Das ist
die „Museumsbahn Küstenbahn Ostfriesland e.V.“, kurz „MKO“. Dieser Verein hat
sich zum Ziel gesetzt die Beschaulichkeit vergangener Zeiten für Besucher
aufleben zu lassen. Mit einem beachtlichen Fuhrpark und zahlreichen Aktionen
werden die alten Zeiten präsentiert. Die „MKO“ befährt das verbliebene
Teilstück der Küstenbahn zwischen Norden und Dornum.
Am anderen Ende der
„Küstenbahn“, von Esens bis Wittmund
und weiter nach Wilhelmshaven fahren heute die Züge der „Nord-Westbahn“ auf und
ab. Ein Wiederaufbau des Streckenabschnitts zwischen Dornum und Esens - Wilhelmshaven (?) ist geplant.
Quellen:
-
Prospekt der Museumseisenbahn
Küstenbahn Ostfriesland (www.mkoev.de)
-
Wikipedia
Max Wefers