Das alte Rathaus

 

 

Bürgermeister Windmann eröffnete um 16.15 Uhr die erste Sitzung. Der Gemeindevertretung in dem in Hage an der Hauptstraße Nr. n gelegenen und bisher von dem Apotheker Karl Kittel bewohnt gewesenes Haus welches fortan die Bezeichnung RATHAUS haben wird - und stellte sodann fest, daß die Beschlussfähigkeit bei vollzähligem Erscheinen aller Ratsmitglieder gegeben ist.

Nach einigen Begrüzungsworten teilte der Bürgermeister mit, daß er zu der heutigen Sitzung im Rathaus verschiedene Herren, insbesondere Herrn Schuhmachermeister Gerhard Bolt als alten Hager eingeladen habe, welcher lange Jahre in der Gemeinde als Ratsmitglied mitgewirkt habe und weil er zum anderen wahrscheinlich in der Lage sein würde, dem Gemeinderat einige Angaben über die Vergangenheit des jetzt von der Gemeinde erworbenen Rathauses zu geben. Bürgermeister Windmann bedauerte, daß die Gemeinde nicht im Besitz von alten Urkunden über Hage sei. Auch sei beim Archiv in Aurich wenig über den Ort vermerkt.

Die älteste Urkunde, die bei der Gemeinde noch vorhanden sei, ist ein von dem früheren Fleckenvorsteher DINKGRÄFE abgefaßtes "Marktpublicandum" aus dem Jahre 1855.

Die Protokollbücher über Gemeinderatssitzungen liegen seit dem Jahre 1855 vor.

Die heutige Sitzung, so betonte Bürgermeister Windmann weiter habe er absichtlich auf den Tag der Übernahme des Hauses durch die Gemeinde angesetzt, um danach den späteren Generationen zu erhalten, wann die Gemeinde erstmalig im Besitz eines eigenen Rathauses gekommen ist.

Das Protokoll über der heutigen Sitzung solle auch nicht nur den Augenblick erfassen, sondern - soweit es in der heutigen Sitzung zur Sprache kommt - auch die rückliegende Zeit. Eine Ausfertigung des Protokolls mit den Unterschriften aller Ratsmitglieder soll dann zusammen mit den Kaufvertrag dem Archiv in Aurich zur Verfügung gestellt werden.

Ratsmitglied Auktionator Franz Schmidt erbat zuerst das Wort und teilte dem Gemeinderat mit, daß er im Besitze von einigen alten Aufzeichnungen über die Geschichte von Hage sei U.a. sei auch das von der Gemeinde erworbene Gebäude verzeichnet.

Hiernach soll der Sitzungssaal, in welchen der Gemeinderat tagt, mit dem dazugehörigen Keller eine alte katholische Kapelle - zugehörend zu dem damaligen Kloster (Jetzt Osterpastorei und Teile der Klosterlohne) - sein.

Es soll sich bei diesem Gebäudeteil um den ältesten Teil des Hauses überhaupt handeln.

Sodann erteilte Bürgermeister Windmann Herrn Schuhmachermeister Gerhard Backer das Wort.

Backer beglückwünschte einleitend den Gemeinderat zu den segensreichen Entschluß, daß die Gemeinde bei der Wahl des Hauses eine glückliche Hand gehabt habe und eines der ältestenGebäude von Hage ankaufte, womit für die Gemeinde ein Stück Altertum erhalten bleibe.

Das von der Gemeinde angekaufte Haus sei das frühere Stammhaus der Peterssen. Landrat Peterssen war der letzte Namensträger, welcher das Haus bewohnt habe.

Ein Bruder von ihm wohnte derzeit im Helenenstift und ein weiterer Bruder in Berum. Das Familienwappen der Peterssen befindet sich noch heute in der Vorderfront des Hauses.

Von besonderen Interesse waren für die Ausführungen Backers, wonach in diesem Hause früher bereits ein Bürgermeister gewohnt hat und zwar handelt es sich um den auf den alten Friedhof beerdigten Bürgermeister Hajo Bernd Peterssen, geb. 21.10.1762 und verstorben am 4.Januar 1828.

Hiernach ist mit Sicherheit anzunehmen, daß mit der heutigen Sitzung nicht die erste Sitzung des Gemeinderates in diesem Saale stattfindet, sondern daß im gleichen Saale bereits um Achtzehnhundert Gemeinderatssitzungen stattgefunden haben müssen.

Der Sohn vom Bürgermeister Peterssen - Landrat Friedrich Abelius Peterssen, geb. am 2.1.1794, verstorben am 27.11.1849 - wohnte anschließend in dem heutigen Rathause.

Die noch vorhandene Bezeichnung "Landratgraft" stammt von den hier s.Zt. ansässigen Landrat Peterssen. Bei dieser Graft handelt es sich um den großem Graben um den jetzigen Marktplatz, welcher heute noch an der bereits eingedämmt worden ist.

Die gelbe Linie stellt den Graben (Graft) da.

Von den Aushub der Gräben legte Peterssen damals in den kleinen Gehölz (jetzt Marktplatz) wie auch in seinen Garten zwei Hügel an. Leider wurde der größere Hügel an der Nordwestecke des jetzigen Marktplatzes im Zuge der Begradigung des Sportplatzes völlig abgetragen.

Da Landrat Peterssen wie auch sein im Helenenstift wohnender Bruder keine Kinder hatten, erbte die gesamten Besitzungen Herr Dr. Peterssen, Sohn des in Berum wohnenden dritten Bruders. Dr. Peterssen war es auch, welcher das vor einigen Jahren abgebrannte Schloß Nordeck in Berum erbaute.

Auch war er es, welcher das Helenenstift mit dem dazugehörigen Besitzungen dem Kreis vermachte.

Von den frühen Vorfahren der Peterssen sei Backer nichts bekannt.

Aus Erzählungen seiner Großmutter wußte er jedoch zu berichten, daß diese Vorfahren im Chor der Kirche zu Hage beerdigt worden sein sollen.

Dr. Peterssen - Alleinerbe der gesamten Besitzungen - verpachtete dieses Haus anschließend an seinen Vetter, den Bauern - Johann Schelten.

Herr Schelten wurde von der Einwohnerschaft scherweise auch Ökonomierat genannt, was er natürlich nicht war. Die Mutter von Johann Schelten wohnte im jetzigen Haus von Lentz.

Schelten war ein eifriger Besucher der hier s.Zt. in Hage vorhandenen Gastwirtschaften und zwar:

"Weißes Haus" - Inhaber: Warnke                                             Jetzt: "Weißes Haus"

"Posthaus"          Inhaber:Bruns                                                  Jetzt:  Kaufmann Swyter

Gastwirtschaft:                 Harm Jacobs                                     Jetzt:  Wilhelm Stoll

Clublokal Voss                                                                             Jetzt:  Sparkasse

Brauerei Freese                                                                           Jetzt:  Gasthof Martini

Ulrich Rodenbäck            (Genannt: Ulerk Snieder)                  Jetzt: Gasthof Willms

Zur Ergänzung der Liste der Bewohner dieses Hauses wurde noch erwähnt, daß anschließend Dr. Gittermann, dann Dr. Janssen und zuletzt der Apotheker Karl Kittel - verheiratet mit der Tochter von Dr. Janssen - das Haus des bewohnten.

Auktionator Schmidt machte sodann noch einige ergänzende Ausführungen wonach sich in diesem Hause früher einmal eine Brauerei befunden haben soll. Dies ist nach dem noch heute vorhandenen großen gewölbten Keller unter dem Waschhaus auch anzunehmen.

Im Anschluss hieran gab Bürgermeister Windmann den Ratsmitgliedern einige Aufzeichnungen aus den Protokollbüchern von 1885 - zum Jahre 1912 bekannt.

Interessante Ausführungen machte er sodann über das Klassenwahlsystem, welches ihm noch persönlich gut bekannt sei.

In der ersten Klasse befanden sich derzeit:

1. Dr. Peterssen, Hage                      mit                  136 Stimmen

2. Andreas Freese                             mit                    60 Stimmen

3. Fürst Knyphausen                          mit                    88 Stimmen

mit diesen Stimmenanteilen konnte die 1. Wahlklasse seinerzeit die Gemeindewahlen entscheidend beeinflussen, beeinflussen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die untere Klasse nur 1, 1/2, 1/4 usw. Stimmen hatte.

Sodann nahm Ratsmitglied Müllermeister Heinrich J. Bruns das Wort und betonte, daß seine Angaben, welche er zu dieser Angelegenheit machen können etwas jüngeren Datums seien.

Er sagte, daß ihm Schuhmachermeister Backer mit seinen Ausführungen bereits das meiste vorweg genommen habe. Im wesentlichen bestätigte er diese Angaben.

Er berichtete dann ausführlich über die Zeit etwa von 1900 an. Seit nunmehr rund 50 Jahren gehöre er ununterbrochen, mit Ausnahme der Jahre von 1933 - 1945, dem Gemeinderat des Fleckens Hage an.

Bruns bestätigte auch die Angaben von Bürgermeister Windmann über den damals herrschenden Modus bezüglich der Gemeindewahlen. in den Kriegsjahren 1914/1918 wurden die Ratssitzungen im damaligen Armenhaus (jetzt Otto Elend) abgehalten, weil sämtliche Sääle in Hage mit Soldaten belegt waren.

 

Otto Elend

Über Herrn Johann Schelten machte auch Ratsmitglied Bruns interessante Mitteilungen. Man nannte ihn in Hage auch "Potje-Schelten" (wegen seinen Gang) oder seiner "Mutter Justizia". Schelten selbst soll im Zusammenhang mit den öfteren Besuch einer Gastwirtschaft den Ausdruck gebraucht haben "Man darf eine Wirtschaft nicht als Schafstall ansehen!". Auch die Mehrzahl der Hager Bürger hatten s. Zt. die Angewohnheit, regelmäßig - meistens von 11 - 12 Uhr vormittags - die Gastwirtschaften zu besuchen.

Hieraus mag auch die Vielzahl der in Hage damals vorhanden gewesenen Gastwirtschaften zu erklären sein.

 

Punkt: 2

Die Ratsmitglieder besichtigten eingehend das angekaufte Rathaus und waren allgemein der Auffassung, daß die Gemeinde mit den Ankauf des Hauses ein gutes Werk getan habe.

Die Räume im Erdgeschoss sind eingerichtet worden für Gemeindezwecke, nämlich

Raum I     Büro für den Bürgermeister bzw. Gemeindedirektor

Raum II    Gemeindebüro (Gemeindekasse und Meldeamt)

Raum III   Sitzungssaal

Im Obergeschoss befindet sich die Dienstwohnung des Gemeindedirektors.

Nach der Besichtigung nahm zuerst Ratsmitglied Erich Faber das Wort. Er betonte, daß er zusammen mit dem Bürgermeister sowie dem Bausachverständigen Hayungs den Auftrag erhielt, den baulichen Zustand des Hauses, welcher für den Entschluß des Gemeinderates über den Ankauf des Hauses entscheidend war, festzustellen. Er freue sich nunmehr darüber, daß die heutigen Feststellung ergeben habe, daß das s. Zt. abgegebene Gutachten in Ordnung war. Er bat sodann um Entlastung, welche einstimmig erteilt wurde.

Auch Ratsmitglied van Echten betonte, daß es sich bei dem Ankauf des Hauses um einen guten Kauf gehandelt habe, wo wohl keiner einen Vorwurf machen könne,weil es zur Zufriedenheit aller ausgefallen wäre.

Ratsmitglied Bruns betonte zu den Ankaufe noch, daß der Beschluß über den Ankauf des Hauses s. Zt. einstimmig erfolgte. Er hegte die Hoffnung, daß nach all den unruhigen Zeiten der letzten 50 Jahre sich dieser Kauf für die Gemeinde gut auswirken möge und daß das Rathaus noch vielen späteren Generationen als Rathaus dienen möge.

Wenn das Haus später einmal für Hage nicht mehr ausreichend sein sollte, dann mögen die Nachfolger ein neues modernes Rathaus schaffen.

Bruns bestätigte den gesamten Gemeinderat, daß dieser den Mut gehabt habe, für die Gemeinde etwas zu schaffen. Er wünschte nochmals, daß sich der Kauf für Hage zum Segen und Nutzen auswirken möge.

Auch Ratsmitglied Schlachtermeister Franz Schmidt betonte, daß hier ein Gemeinderat, welcher strebend war, etwas getan habe. Der Kauf war in Ordnung und es ist richtig gewesen, was getan wurde. Er betonte, gleichzeitig namens der übrigen Ostvertriebenen Ratsmitglieder, daß es ihnen Freude mache, in einer solchen aufstrebenden Gemeinde mitzuwirken.

Schuhmachermeister Backer betonte, daß sich der jetzige Gemeinderat mit dem Ankauf des Hauses ein bleibendes Andenken gesetzt habe. Er sagte aber, man solle nun die gesteckten Ziele nicht aufgeben, sondern weiterhin im Interesse der Gemeinde aufstrebend wirken. Die Schaffung eines Schwimmbades müßte die nächste voringliche Aufgabe sein.

Ratsmitglied van Echten erklärte, daß von ihm das Problem zur Schaffung eines Bades für Hage dringend unterstützt würde.

Bürgermeister Windmann ermahnte jedoch die Ratsmitglieder, die Finanzen der Gemeinde Hage nicht zu überschätzen. Mit dem Kaufe des Rathauses sowie eines Baugrundstückes für den Bau von 12 Häusern sei die Finanzkraft der Gemeinde zunächst erschöpft. Er betonte jedoch, daß die erf. Vorarbeit schon jetzt geleistet werden könnte.

 

Punkt: 3

Zu diesem Punkt wurde nach der erfolgreichen Besichtigung beschlossen, die folgenden fehlenden Möbel bzw. Einrichtungsgegenstände zu beschaffen:

Raum I:   4 Sessel, runden Tisch, 1 großes Bild

Raum II:  Verlängerung des Tresens, fehlende Gardinen

Flur:        Tisch, Bank und zwei Stühle

                Sitzungstisch, 15 Sessel, 6 kleine Tische, 24 Stühle, Vorhänge, Lampen.

Zum Zweck der fehlenden Einrichtungsgegenstände sowie die Feststellung der Behebung der unbedingt notwendigen Instandsetzungsarbeiten (Mauer, Kellereingang) wurde die folgende Kommission einstimmig gewählt:

1) Malermeister E. Faber

2) Viehkaufmann G. Müller

3) Wassermeister H. v. Echten

Die Kommission wird beauftragt, die o.a. Aufgaben in eigener Zuständigkeit zu erledigen.

 

Um 19.19 Uhr war die Tagesordnung erschöpft.

Bürgermeister Windmann bat jedoch die Anwesenden, noch weiterhin im Sitzungssaale zu verbleiben. Er ladet sodann zu einen Umtrunk ein. Die Ehefrau des Gasthofes Martini, Frau Gertrud Dörr geborene Menssen, sorgte sodann dafür, daß die Gläser stets gefüllt waren.

So saß der Gemeinderat - welcher damit die offizielle Einweihung des Rathauses feierte - noch einige Stunden in fröhlicher Runde zusammen.

 

Hage, den 1.August 1953

 

                                                                                                                                                                                                                        V.g.u.u.